Im Juni ist es soweit: Deutschland kann in Person seiner Sicherheitskräfte schon wieder beweisen, wie großartig man mit der Eindämmung von Großveranstaltungen umzugehen in der Lage ist. Nachdem man im Sommer 2006 die Fußballweltmeisterschaft zu einem sicheren Fest für alle (zahlenden) Freunde aus aller (?!) Welt gemacht hatte, steht diesen Sommer wieder ein ganz besonderes Spektakel auf dem Programm: Der G8 Gipfel in Heiligendamm. Wieder werden sich deutsche Polizisten fahnenschwenkenden Marschierern gegenüber sehen, auch diesmal werden einige wenige beim Ausüben ihres Berufs von ganzen Hundertschaften von Polizei behütet, nur treten diese "Arbeiter" diesmal nicht gegen Fußbälle, sondern reden über Themen, über die man sich aber ebenfalls in der Bild Zeitung oder im SPIEGEL informieren kann. Muss das sein?
Die ganze Chose funktioniert so ähnlich wie das berühmte Märchen vom König und seinen neuen Kleidern: Wenn sich nur genügend Leute finden, die ihren Körper in die Nähe des Arbeitsortes der beschützten Personen bewegen, wird es eine bemerkenswerte Sensation und die Medienorganisationen tragen dafür Sorge, dass ihre Mitarbeiter ebenfalls ihre Körper an den Ort des Geschehens bewegen. Doch schon hier kann man fragen: Wie viele Körper von Protestierenden/ Jubelnden fänden sich am Ort des Geschehens ein, würden die Massenmedien nicht im Vorhinein über jedes unappetitliche Detail im Zusammenhang mit dem Spektakel berichten (Zaunhöhe, Kosten etc.)?
Offenbar handelt es sich um eine Art selbsterfüllende Prophezeiung: So lange es Menschen gibt, die von sich behaupten, das Treten gegen Fußbälle/ Reden über Globalisierung sei für sie eine bemerkenswerte Angelegenheit, werden solche Veranstaltungen auch immer die ihnen gebührende (wirklich?!) Aufmerksamkeit erhalten. Es gibt ja schließlich auch andere Orte an denen gegen Fußbälle getreten wird, dazu bedarf es keiner riesigen Arenen. Es gibt auch andere Orte an denen über Globalisierung geredet wird (Stammtische, Kioske, soziologische Seminare, aber auch: beim Papst).
Offenbar konzentriert sich das gesellschaftliche Großinteresse ganz auf ein paar sehr spezialisierte Körper. So werden im Fußballsport nur die Körper der Spitzenathleten zum Thema des massenmedial verbreiteten Kommunikation, über den grottigen Kick zwischen ein paar alten Herren am Mittwochnachmittag hinter dem Wattenscheider Realmarkt schweigen sich die Massenmedien aus (wichtige Ausnahme: hier und jetzt), als Annex zu Ballack und Konsorten kann aber selbst der Altherrenfußball in eher unangesagten Bochumer Stadtteilen Thema werden. Ähnliches kann über die Körper der in Heiligendamm debattierenden gesagt werden. Speziell für den Debattierzweck gezüchtete Körper treffen für Spitzenleistungen aufeinander und werden dabei von ihren Fans lautstark begeleitet. Nur sind die Selbstbeschreibungen dieser Art von Fans ganz anders geartet als die eines Fußballenthusiasten. Obwohl man sich mit der Thematik (Debatten über die sogenannte Globalisierung anstatt von: Treten gegen Fußbälle) intensivst zu beschäftigen behauptet, lehnt man es eigentlich ab. Eine wesentlich raffiniertere Konstruktion als die des Fußballbegeisterten, der angeben kann sich zu interessieren aber auch dafür zu sein (Fußball insgesamt, nicht auch: Die Gegenmannschaft!).
Wovon bist du denn so Fan?
Globalisierung!
Der Globalisierungsfan ist erst Mal per se dagegen (deswegen ja auch eigentlich immer: Globalisierungsgegener- nicht Fan), interessiert sich für die Thematik, jubelt aber immer gegen die eigenen Leute (demokratisch legitimierter Staatschef). So etwas kann auch im Fußballuniversum geschaut werden: Das Auspfeifen der eigenen Mannschaft, beziehungsweise deren Trainer. Sicherlich kann man auch bei den Globalisierungsprotesten eine gewisse Parteinahme nicht von der Hand weisen Aber als westliches Wohlstandskind für die Verlierer der Globalisierung zu protestieren, wäre in die Fußballwelt nur schwer zu übertragen: Man müsste als Deutschlandfan für die Fans von England jubeln.
Fazit
Massenansammlungen menschlicher Körper werden wohl noch lange Zeit ein Rätsel bleiben. Gleiches kann für die in diesen Körpern arbeitenden psychischen Systeme gesagt werden. Zu einem besseren Verständnis der einzelnen Massenbewegungen kann jedoch erforscht werden, inwieweit sich die Teilnehmermengen der einzelnen Segmente überschneiden. Dazu müsste ein Team von Soziologen oder Psychologen oder so nach Heiligendamm fahren und möglichst viele Leute fragen, ob sie nicht auch schon zur Fußball-WM am Start waren. Dann könnte man sehen, ob die Präferenz zur Teilnahme an Massenkundgebungen themenabhängig ist, oder schon für sich anziehend genug wirkt, oder anders gefragt: gibt es den Massenmenschen, den man zur Not auch noch für (oder eben auch: gegen) ein Kaninchenzüchtertreffen in der Stadthalle von Wattenscheid mobilisieren könnte?
Benz
Anfang Juni trifft sich die G8 in Heiligendamm in Mecklenburg. Die G8 könnte man beschreiben als "Weltregierung der Globalisierung", von niemandem gewählt und dennoch mächtig; zu mächtig und ohne jede Spur von Demokratie. Sie bestimmt weltweit, wo es lang gehen soll. Dazu trifft sie sich jährlich, im Sommer diesen Jahres in Heiligendamm unter Vorsitz der deutschen Bundesregierung. Gegen diesen Gipfel hat sich ein mächtiges internationales Bündnis gebildet. Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Sozialforen, linksradikale Gruppen etc. planen Demonstrationen, Blockaden, Konzerte und weitere Proteste gegen den Gipfel. Damit fordern sie gesellschaftliche Alternativen zur kapitalistischen Weltordnung, zu Ausbeutung, Entrechtung, Umweltzerstörung und Krieg formulieren.
Auftakt der Proteste ist die internationale Großdemonstration am 2. Juni in Rostock (www.heligendamm2007.de/). Gruppen, Verbände und Parteien aus ganz Deutschland und Europa haben ihre Teilnahme angekündigt. Da die Stadt Rostock zu klein ist für die erwarteten zig tausend TeilnehmerInnen sind zwei Demonstrationsrouten geplant. Die eine Route beginnt am Hauptbahnhof, die andere an einer Autobahnabfahrt, an der die Busse gesammelt werden können. Gemeinsamer Abschluss ist am Hafen mit großem Kulturprogramm. U.a. werden Madsen, Chumbawumba, Jan Delay, Mediengruppe Telekommander, Kettcar, Yok... in Rostock und auf den Camps spielen. Genaueres entnehmt der Homepage http://www.move-against-g8.de/pages/programm.php.
Die folgenden drei Tage sind thematische Aktionstage, die aus den jeweiligen Spektren vorbereitet werden, beginnend mit dem Thema Landwirtschaft. Geplant sind verschiedene Aktionen, die vor allem den Fokus auf Landlosenbewegungen, Gentechnik und die Patentpolitik auf diesem Gebiet legen. Der folgende Tag steht im Zeichen der Migration. Geplant ist eine große Demonstration in Rostock und weitere dezentrale Aktionen. Der Schlusspunkt der Aktionstage ist dem Thema Militarismus, Krieg und Folter gewidmet.
Parallel zu den Aktionstagen und dem Gipfel wird der Alternativgipfel (www.g8-alternative-summit.org) stattfinden. Dieser wird vor allem von den NGOs getragen und soll einen inhaltlichen Gegenpart zum Gipfel der Herrschenden bilden. Der aktionistische Höhepunkt der Gipfelproteste bildet die Aktion der Kampagne Block G8 (www.block-g8.org/). Mit Massenblockaden sollen die Zufahrtsstraße nach Heiligendamm blockiert werden und der Gipfel von jeglicher Logistik abgeschnitten werden. Am Donnerstag wird es ein Konzert mit Herbert Grönemeyer, den Toten Hosen etc. unter dem Motto "Dein Stimme gegen Armut" geben.
Die Camps
Auch die Unterbringung der Gipfelgegnerinnen und Gegner stellt eine Herausforderung dar. Es wird zwei oder drei große Camps geben für insgesamt etwa 15000 Menschen geben(http://www.camping-07.de/). Die Standorte Reddelich und Rostock stehen fest. Reddelich liegt westlich von Rostock und ist etwa 5 km vom Zaun um Heiligendamm entfernt. Das Camp in Reddelich wird auch Zentrum des Kulturprogramms werden. Beide Camps werden von großen Volxküchen versorgt werden und in Barrios genannte Viertel unterteilt sein, die es großen Gruppen erlaubt, nochmals eigene Strukturen innerhalb der Camps zu unterhalten.
Von Bochum nach Rostock
Es besteht die Möglichkeit am Samstag Morgen (2.6.) mit einem Bus zur Demo nach Rostock zu fahren, Der Bus fährt nach der Demonstration zurück. Die Karten werden voraussichtlich 10 € kosten. Der Haken daran ist, dass der Bus nur fährt, wenn sich (am besten bis Ende dieser Woche) genug Mitfahrer/innen finden. Wichtig ist daher, dass alle InteressentInnen sich per Mail unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! melden oder im Infobüro vorbeikommen. Für AktivistInnen, die auch länger in Rostock bleiben wollen, bietet sich der Attac-Zug an. Dieser fährt morgens am 2.Juni um 1.50Uhr ab Dortmund los (aber nicht zurück!). Karten dafür gibt es ab sofort im G8-Infobüro im Sozialen Zentrum (dienstags und freitags von 16-19 Uhr), im Service-Referat des AStAs der RUB sowie im Bhf. Langendreer. Diese Karten kosten 30€ und ermäßigt (nach Selbsteinschätzung) 15€ und sind nur in einer begrenzten Stückzahl vorhanden.
Zum Schluss ein Termintipp: Der Höhepunkt der G8-Vorbereitung im Ruhrgebiet wird am 19./20.Mai das Festival KulturGegenMacht in Essen mit Workshops, Bands und Blockadetrainings sein. Mehr dazu: http://www.g8-buendnis-rheinruhr.de/
Martin Krämer
mehr Infos:
Bochumer G8-Plenum:
c/o Soziales Zentrum
Rottstr. 31, 44793 Bochum
Infobüro: Di & Fr, 16 -19 h
Tel.: 0234-5472960 (nur Di & Fr)
Email: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Homepage: www.g8-bochum.de
Sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen ist ein heutzutage in unserer Gesellschaft allseits bekanntes, aber dennoch, auch wenn hier und dort einige kritische Stimmen laut werden, beinahe gänzlich tot geschwiegenes (Tabu-)Thema. Nach Schätzungen des Bundeskriminalamtes werden jährlich 200.000 bis 300.000 Kinder sexuell missbraucht. Dazu kommen noch 11.000 bis 13.000 Vergewaltigungen, die zur Anzeige gebracht werden. Die Dunkelziffer, d.h. die Anzahl der nicht angezeigten Taten, ist weiterhin ungewiss, liegt aber definitiv um ein Vielfaches höher.
Auch wenn man (in der Presse) fast immer davon hört, dass eine Person von einem Fremden missbraucht wurde, so stammen die meisten Täter aus dem näheren Umfeld des Opfers, sind Verwandte oder Bekannte, Onkel, Väter, Brüder, selten auch Mütter und Tanten. Die Vertrauensbasis wird aufs Brutalste ausgenutzt, um die eigenen, oft abartigsten Phantasien, auszuleben. Ohne Rücksicht auf das (weitere) Leben des Opfers.
Der jeweilige Tathergang ist immer ein anderer, doch gibt es überall Ähnlichkeiten. Auf der Seite des Vereins gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen "Wildwasser Bochum e.V." findet man eine kleine Auflistung: "Täter ziehen das Kind oder die Erwachsene mit ihren Blicken aus, zeigen ihnen pornographische Filme, fordern sie auf, sie anzufassen oder sich auf sie draufzulegen, wollen sie ohne Kleidung fotografieren, machen Bemerkungen über ihren Körper, fassen sie zwischen den Beinen, am Po oder an der Brust an, stecken ihnen den Penis, einen Finger oder andere Gegenstände in die Scheide, den Po oder in den Mund, …". Worte, die niemand gerne hört oder liest, die aber die bittere Wahrheit darstellen.
Spielend ins Unglück
Nicht selten wird den Opfern während der Vergewaltigung oder danach auch noch eingeredet, dass sie ja selbst Schuld seien. Man sei mitgegangen, habe mitgespielt oder den Täter durch Blicke, Kleidung, oder ähnliches provoziert bzw. geradezu dazu aufgefordert (z.B. die Kombination aus Minirock, Schminke und einem freundlichen, unschuldigen Lächeln). Was für eine schwachsinnige Behauptung dies ist, liegt auf der Hand. Niemals ist das Opfer schuld an dem Leid, welches ihr/ ihm angetan wird!
Doch wissen oder glauben diese Tatsache nur die Wenigsten. Selten trauen sie sich das Schweigen zu brechen und den Täter anzuzeigen. Die Angst und das Schamgefühl sind einfach zu groß. Die eigene Würde ist irreparabel gebrochen. "Man wird nie wieder so, wie man vorher war. Man ist ein ganz anderer Mensch, lebt in einer anderen Welt.", schreibt eine Betroffene in einem offenen Brief an den Verein, "Die Opfer haben dagegen (gegenüber den lachhaften Strafen der Täter, Anm. d. Red.) meist lebenslänglich!".
Der Verein dazu: "Die traumatischen Erfahrungen durch sexuellen Missbrauch in der Kindheit bedeuten folgenschwere Eingriffe in die Persönlichkeitsentwicklung der Mädchen und Frauen, die lebenslängliche Spuren hinterlassen."
Der Täter ist an der Handlung schuld, niemals das Opfer
Der Verein "Wildwasser Bochum e.V." wurde 1990 gegründet und verdankt seinen Namen der allerersten Beratungsstelle zu sexueller Gewalt in der BRD, dem Berliner Verein Wildwasser. Dieser in den 80er Jahren durch eine Gruppe Frauen entstandene Verein hatte sich amerikanische und britische Selbsthilfe- und Therapiekonzepte zum Vorbild genommen. Da sexueller Missbrauch von Frauen und Kindern damals noch kein Thema war, zeigte sich sehr bald, dass großer Bedarf an Aufklärung von Nöten war. Die Nachfrage nach dieser Beratungs- und Informationsstelle erwies sich als enorm, zumal als die Einzige in der ganzen BRD. Im Laufe der Jahre eröffneten weitere Wildwasser-Vereine im ganzen Land, die, so unterschiedlich auch die Angebote sind, ihr Hauptziel darin sehen, Mädchen und Frauen, die sexualisierte Gewalt erlitten haben oder sogar immer noch erleiden, zu helfen und ihnen beizustehen. Seit 1995 erst bewohnt der Bochumer Verein eigene Räumlichkeiten in Langendreer-West, seit 1998 finanziert das Land eine halbe Stelle für eine Dipl. Sozialpädagogin, seit 2003 eine weitere Stelle durch die Kommune. Abgesehen von immer wiederkehrenden Planungen, die Gelder für solche Fachberatungsstellen in NRW zu streichen, muss der Verein Wildwasser Bochum e.V. kontinuierlich nach Förderern suchen, da er so oder so nur teilweise öffentlich finanziert wird.
Mithelfen ist angesagt!
Das Angebot spricht verschiedene Aspekte an: Es gibt Angebote für Mädchen und Frauen, die Opfer von sexuellem Missbrauch waren oder sind, wie z.B. telefonische Beratungszeiten (dienstags von 15 - 17 Uhr und Donnerstags von 10 - 12 Uhr), persönliche Gespräche oder Unterstützung bei der Suche nach einer geeigneten Therapie, Angebote für Bezugspersonen, die von sexuellem Missbrauch unmittelbar betroffen sind, wie Information und Beratung, sowie Mütterselbsthilfegruppen, Beratung bei der Beantragung von Opferentschädigung, Angebote für Interessierte an Selbsthilfe, für Mädchen und Frauen mit Psychiatrieerfahrung, mit Behinderung und für psychosoziale Fachkräfte und Fotbildungsinteressierte.
Trotz der geringen finanziellen Mittel leisten die MitarbeiterInnen ausgezeichnete Arbeit und bemühen sich ihr Angebot stetig auszuweiten.
Zu den Kooperationspartnern gehört u.a. der Verein "NORA e.V.", eine Beratungsstelle für Frauen und Mädchen, welcher seinen Schwerpunkt in die Beratung in Lebenskrisen und Notsituationen gelegt hat, als UnterstützerInnen sind die Stadtwerke Bochum und die Vagina Monologe (die bsz berichtete, Anm. d. Red.) tätig.
Wer sich noch weiter informieren möchte, findet unter www.wildwasser-bochum.de eine große Auswahl an Material und auch die Möglichkeit Fördermitglied zu werden.
aw
"Wildwasser – ein Symbol für die
Eigenschaften, die wir stärken wollen:
Kraftvoll, rauschend, brausend
und aufschäumend,
aber auch ruhig und gelassen;
es kann in Farben schillern
und bahnt sich seinen Weg
durch Fels und Gestein.
…genauso werden wir sein.
Wir werden unseren Weg finden."
(Aus: Mühsam – aber nicht unmöglich)